Interview mit Julia Anna Sattler, Tänzerin

Interview mit Julia Anna Sattler, Tänzerin

In einem blauen Wollkleid, die Beine elegant überschlagen, das lange blonde Haar ruht lässig auf Ihren Schultern, sitzt Julia mir gegenüber, eine ehemalige Profitänzerin Anfang 30.

Wann hast du angefangen zu tanzen?

Ich habe mit 3 Jahren angefangen zu tanzen und es hat mich so begeistert, dass ich immer mehr und mehr davon wollte. Im Alter von 9 Jahren habe ich an der SBBS (Schweizerische Ballettberufsschule, heute die Zhdk) Tanz angefangen zu trainieren.

Und deine Tanzrichtung?

Ich habe eine klassische Ballettausbildung genossen, also wie man sich das vorstellt mit engen Strumpfhosen, Spitzenschuhen und strengem Dutt im Haar. Aber natürlich trainierte ich auch andere Stilrichtungen wie Jazz, zeitgenössischer Tanz, Charaktertanz und und und. . .

Und nach deinem Abschluss?

Also ich habe nie in einer rein klassischen Company getanzt.

Warum nicht?

Mir wurde schon während der Ausbildung gesagt, dass ich nicht gut genug bin für klassisches Ballett.

Nicht gut genug – körperlich?

Nicht unbedingt körperlich, eher technisch nicht sauber genug um eine Ballerina zu werden. Das wurde mir aber erst in meinem Abschlussjahr an der Wiener Staatsoper gesagt (grinst und nimmt einen Schluck Kaffee).

Okay, harte Worte. Wenn wir schon bei hart sind, es gibt ja so Gerüchte über Company´s. Stimmt es, dass viele Tänzer Aufputschmittel oder Drogen konsumieren?

Ich war nie in solch einer Company, kenne das auch nur vom Hören sagen. Aber ja, Konsum also gewisse Aufputschsubstanzen scheinen verbreitet. Gerade in klassischen Company´s ist der Druck enorm hoch, da muss man funktionieren egal wie und in welchem Zustand.

Verrückt, wenn man bedenkt, dass der Körper ja Haupt – Arbeitsinstrument für euch Tänzer/innen ist. Was sagt man noch mal, wann beginnt euer Verfallsdatum, mit 35?

Ja, so ab 30 geht es los.

Findest du das berechtigt?

Es stimmt, ab Mitte 30 bekommt man fast keine neuen Engagements mehr, es gibt ein paar wenige Ausnahmen.

Müsste man das ändern?

Absolut, aber das hat mit den Strukturen in dieser Branche und auch mit dem allgemeinen Machtmissbrauch zu tun. Das Bild des jungen hübschen Mädchens und Knaben ist auf der Bühne immer noch gerne gesehen. Die meisten klassischen Stücke handeln ja auch davon. Gerade deshalb schätze ich den zeitgenössischen Tanz, weil er mit solchen Bildern bricht und ein Wandel spürbar ist. Ein junger Tänzer bringt sicher die Technik mit, aber eine erfahrene, ältere Tänzerin die nötige Emotion und die kann man meiner Meinung nach nicht lernen, nur leben.

Was meinst du mit Machtmissbrauch?

Wir erleben diese Thematik in Zusammenhang mit #metoo. Umgemünzt auf die Theaterwelt bedeutet es, höher gestellte Personen, Alleinherrscher beispielsweise der Intendant terrorisiert das Theaterpersonal und nutzt seine Position schamlos aus. Ich habe meine Masterarbeit darübergeschrieben. Tänzer/innen sind bis heute ihren Vorgesetzten ausgeliefert und haben praktisch keine Rechte. Wer seine Meinung äussert oder anders empfindet bekommt halt die nächste Rolle nicht, so einfach.

Zurück zu dir, wie ging es nach deiner Ausbildung weiter?

Ich habe in meinem Abschlusssemester in ganz Europa vorgetanzt und dann mein erstes Engagement in einer Junior Company bekommen. Dort habe ich was sehr ungewohnt war sehr zeitgenössisch, also Barfuss und mit wehendem Haar getanzt (lacht).

Eine spannende Zeit mit vielen unterschiedlichen Tänzer/innen und Kulturen. Sehr frei, was für mich, welche an klassische Strukturen gebunden manchmal auch herausfordernd war.

Unterschiedliche Menschen und Kulturen. Deine Berufung hat dich auch nach Israel geführt, erzähl mir davon.

Ja, ich habe 3 Jahre in Israel für unterschiedliche Companies und Projekte getanzt. Ein Land in dem ich mich sehr wohlgefühlt habe.

Wohlgefühlt warum?

Ich konnte so sein wie ich bin. Manchmal laut, wütend, fröhlich, einfach sein. Die Kultur und die Menschen haben mich sehr warmherzig empfangen und die Tanzwelt in Israel ist eine sehr eigene, emotionale, ich würde fast sagen animalische.

Ich würde noch mal gerne zu der Körperlichkeit zurück. Was sind die zurückbleibenden Schäden nach so einer Tanzkarriere?

Man kann es nicht generalisieren, aber der Rücken ist sicher ein großes Thema, die Knie und Fußgelenke. Ich selbst habe mir während meiner aktiven Tanzzeit auch mal den Fuss gebrochen. So etwas passiert schnell, wenn der Körper müde und man überarbeitet ist.

Findest du, dass man als Tänzer/inn im Alter genug abgesichert ist?

Nicht wirklich. Es gibt eine langsame Entwicklung an den Theatern und so etwas wie Anlaufstellen, aber der Weg ist noch lang. Der Verdienst eines Tänzers ist mit dem eines Kassenangestellten vergleichbar, nur ist bei dem meist nicht mit 35 Schluss. Die meisten verlassen diese Branche ohne finanzielle Absicherung oder Aussichten auf eine Karriere danach. Hinzu kommt, dass viele auch keinen schulischen Abschluss gemacht haben auf Grund des vielen Trainings.

Heisst also du gibst alles, trainierst wie ein Wahnsinniger für ein kurzes Zeitfenster an Erfolg und hast dann nicht nur einen mitgenommenen Körper & Geist, sondern auch noch null Absicherungen im Alter?

Ja, so könnte man es sehen (nachdenklicher Blick).

Okay, dann meine letzte Frage nach dem warum? Was bedeutet tanzen für Dich?

Tanz ist für mich mein Zuhause.

 

Julia wird in den kommenden Wochen während Ihrer Probenzeit unser Zuya limited Orange Edition ausprobieren. Wir werden Euch berichten wie Sie es findet!

Julia ist das nächste Mal zu sehen am 17.2.22 in der Eröffnungsproduktion des Jungspund Theaterfestival: https://jungspund.ch/eskamelimzirkus/

Bild: ©Roland Teubl

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